Polnisch im Ruhrgebiet

Polnisch im Ruhrgebiet
Die Seminarleiterin Tanja Anstatt mit einigen der Seminarteilnehmerinnen. Stehend von links Magdalene Podstawny, Eliza Jaworska, sitzend von links: Dorothea-Julia Laszczak, Tanja Anstatt, Tanja Młynczak

Der Bochumer Germanist Heinz H. Menge (1979, 1985) wies nach, dass diese große Gruppe zwar sprachlich nur sehr geringe Spuren im Ruhrdeutschen hinterließ (vor allem ein paar Substantive wie mottek ‘Hammer’, mattka ‘Frau’, eigentlich ‘Mutter’, oder sich einen pietschen von polnisch pić ‘trinken’), und auch diese sind heute kaum noch geläufig), aber trotzdem hatte diese Gruppe einen wichtigen Einfluss auf die Selbst- und die Außenwahrnehmung des Ruhrgebiets als ein sprachlicher Schmelztiegel mit einem großen polnischen Anteil. Auch heute ist die polnische Sprache auf den Straßen der Region so präsent wie sonst in kaum einer Gegend Deutschlands.

Ganz im Gegensatz zu dieser langen Geschichte des sprachlichen polnisch-deutschen Miteinander und der gegenwärtig beträchtlichen quantitativen Rolle  polnischsprachiger Menschen ist es ein weit verbreiteter und immer wieder zitierter Topos, dass die Polen und das Polnische in Deutschland unsichtbar seien (z.B. im Artikel “Polen in Deutschland” von Agnieszka Debska, Link). Der Historiker Peter Oliver Loew bezog sich darauf sogar im Titel seines Buches von 2014 über die Geschichte der Polne in Deutschland, das er betitelte: “Wir Unsichtbaren”).

In einem sprachwissenschaftlichen Seminar an der Ruhr-Universität Bochum im Sommersemester 2016 wollten wir der Frage nachgehen, ob sich diese Unsichtbarkeit in Bezug auf die polnische Sprache im Ruhrgebiet tatsächlich bestätigen lässt. Wir verwendeten dafür aktuelle Methoden der Soziolinguistik wie das linguistic landscaping, Interviews und Beobachtungen. Insgesamt bildeten sich vier studentische Arbeitsgruppen, die jeweils einer selbst erarbeiteten Fragestellung empirisch anhand von konkreten Beispielen nachgingen:

 

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Polnische im Ruhrgebiet durchaus wahrnehmbar ist. Die Sprache steht zwar quantitativ deutlich im Schatten solcher Sprachen, die aufgrund aktueller Ereignisse dringenden Handlungsbedarf auslösen (Arabisch in Behörden) oder die sich weltweit als Lingua franca durchsetzen (Englisch in der allgemeinen visuellen Präsenz von Sprachen im öffentlichen Raum) – aber dieses Schicksal teilt sie mit den Sprachen sämtlicher Migrationsgruppen. Einwohner und offizielle Einrichtungen des Ruhrgebiets bemerken das Polnische durchaus – hier mehr, dort weniger.

Die polnische Sprache und ihre Sprecherinnen und Sprecher stehen also nicht im Brennpunkt der Aufmerksamkeit, aber sie sind zu einem selbstverständlichen Teil des Ruhrgebiets-Alltags geworden. Ihre Sichtbarkeit reicht von den verblassenden Spuren der Ruhr-Polen (Link zum Bild der Aufschrift Am Kortländer 2-14*) bis zu heute omnipräsenten Indizien polnischen Alltagslebens (Bild “Ogorki”), und ihre Hörbarkeit belegen eindrucksvoll die Ergebnisse der Befragung von Bewohnerinnen und Bewohnern Bochums.

 

Tanja Anstatt

 

 http://www.slavistik.rub.de/index.php?anstatt 

 

*Link z.B.

https://www.lwl.org/LWL/Kultur/fremde-impulse/die_impulse/Impuls-Polen-um-1900/Polen-Am-Kortlaender-Bochum

 

Zitierte Literatur:

Debska, A. 2014. Die zweitgrößte Minderheit, in: Mediendienst Integration, 10.1.2014, online (http://mediendienst-integration.de/artikel/polen-in-deutschland-zahlen-…)

Loew, P.O. 2014. Wir Unsichtbaren: Geschichte der Polen in Deutschland, München

Menge, H.H. 1979. Einflüsse aus dem Polnischen im Ruhrgebiet? Exemplarische Behandlung eines Kapitels aus der „Volkslinguistik“. In: Niederdeutsches Wort. Beiträge zur niederdeutschen Philologie. Bd. 19, Münster, S. 86-116

Menge, H.H. 1985. War das Ruhrgebiet auch sprachlich ein Schmelztiegel? In: Mihm, A. (ed.): Sprache an Rhein und Ruhr. Dialektologische und soziolinguistische Studien zur sprachlichen Situation im Rhein-Ruhr-Gebiet und ihrer Geschichte, Stuttgart (= ZDL Beihefte, Bd. 50), 149-162.

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