Stanisław Toegel
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Stanisław Toegel - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Stanisław Toegel wurde am 20. August 1905 in Jaworów (heute Jaworiw), fünfzig Kilometer westlich der Bezirkshauptstadt Lemberg geboren. An der Universität Lemberg studierte er Rechtswissenschaften und machte sich schon zu dieser Zeit einen Namen als Karikaturist. Bogusław Bakuła, Literaturwissenschaftler am Institut für Polnische Philologie der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań, berichtet, dass Toegel regelmäßig in der Lemberger Kneipe Pod Gwiazdką (dt. Zum Sternchen) verkehrte, in der sich die „linke“ polnische, ukrainische und jüdische Jugend traf, „die mehr oder minder einträchtig die künstlerischen Autoritäten in Lemberg bekämpfte“. Dorthin gingen auch „polnische Intellektuelle wie Karol Kuryluk oder Stanisław Piętak aus dem Umfeld der Lemberger Zeitung Sygnały und ukrainische Literaten linker Orientierung wie Jaroslav Halan und Stepan Tudor. Aber es gab auch Hinweise, die besagten, dass in der Kneipe Aktivisten der verbotenen Kommunistischen Partei der Westukraine und vielleicht sogar Mitglieder von Kampfverbänden verkehrten.“ Toegel, so Bakuła, zeichnete hier „wunderbare Karikaturen der Besucher der Kneipe, die brechend voll war, da es sich beim Hausherrn gut anschreiben ließ.“[1]
Als Künstler war Toegel ein begabter Autodidakt. Das Zeichnen von Karikaturen war in der Bohème der Maler und Literaten jedoch keine Seltenheit. Im Restaurant Atlas, in dem die Lemberger Maler verkehrten und von dem die „linke Jugend“ zum Sternchen umgezogen war, waren die Wände mit Karikaturen und Gedichten der Stammgäste übersät. Toegel verfasste während seiner Studienzeit, also ab Mitte der Zwanzigerjahre, Feuilleton-Beiträge für die Lemberger Zeitungen Dziennik Polski und Kurjer Lwowski, in denen auch seine ersten satirischen Zeichnungen erschienen.[2] 1932 gab er eine Mappe mit sechzehn in Grautönen gedruckten Karikaturen heraus, die im beeindruckenden Format von 42 Zentimetern Höhe alle bedeutenden Politiker der Zweiten Polnischen Republik zeigen, darunter Ignacy Jan Paderewski, August Zaleski, Wincenty Witos, Roman Dmowski sowie die Generäle Władysław Sikorski und Bolesław Wieniawa-Długoszewski. Marschall Józef Piłsudski, der seit 1926 aus dem Hintergrund regierte, zeichnete er über dem Bildtitel „ON“ (dt. „ER“) schlafend, den Marschallstab in der rechten Hand, auf einem schwarzen Thron, in dem sich unten ein winziger Eingang zum Sejm, dem polnischen Parlament, öffnet (Abb. 1).
Irgendwann in den Dreißigerjahren zog Toegel dann mit seiner Frau Olga nach Warschau, um bei einer Versicherung zu arbeiten. Aus den spärlichen Informationen über seine Biografie ist bekannt, dass er 1939 als Reserveoffizier an der Septemberkampagne, dem Verteidigungskrieg der polnischen Armee gegen den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen, teilnahm und in Gefangenschaft geriet. Er konnte jedoch fliehen und in Warschau untertauchen. Er wurde Soldat der im Untergrund tätigen Heimatarmee (Armia Krajowa) und nahm angeblich an Sabotageaktionen teil.[3] Für die Untergrund-Presse zeichnete er 1943/44 bissige Karikaturen auf die Nazis.[4] Im August 1944 nahm er am Warschauer Aufstand teil und geriet wieder in deutsche Gefangenschaft. Nach der Kapitulation der Aufständischen am 1. Oktober 1944 wurde er in ein Lager für Zwangsarbeiter vermutlich in Göttingen-Weende deportiert, in dem Polen interniert waren und von dem aus er, so wird angenommen, Zwangsarbeit in der Pergamentpapierfabrik Rube & Co in Weende leisten musste.[5]
Toegel konnte dort offenbar Zeichenpapier beiseiteschaffen. „In einem Versteck, geheim und in Eile, mit einer Feder […] entstanden freche Skizzen, das Notizbuch eines satirischen Reporters. Sie zirkulierten im Untergrund, gelangten auch in die Hände von Nazis, die bereits auf ihre Niederlage blickten.“[6] Einige dieser Zeichnungen, in der Mehrzahl Karikaturen auf Adolf Hitler, Josef Goebbels, Heinrich Himmler und Hermann Göring, vor allem aber auf die Überheblichkeit und den Fall der Nazigrößen, wurden später Teil der Zyklen „Hitleriada furiosa“ und „Hitleriada macabra“ und tragen dort noch die Datierung „Göttingen 1945“ (Abb. 9/2, 9/3, 9/5, 9/8, 9/10, 9/11, 9/12, 10/2). Eine kleine, stark beschädigte Skizze in Toegels Nachlass im Oberschlesischen Museum in Bytom (Muzeum Górnośląskie w Bytomiu) trägt den Titel „Volkssturm in Weende“ (Abb. 2).
[1] Bogusław Bakuła: Eine Welt zwischen Wissenschaft und Kunst. Lemberger Kneipen der 1930er Jahre, in: Osteuropa 3/2004, Seite 3-15 (http://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2004/3/eine-welt-zwischen-wis…)
[2] Ausstellungs-Katalog Hitleriada Furiosa 2005, Seite 5
[3] Ausstellungs-Katalog Hitleriada Furiosa 2005, Seite 5
[4] Vorwort zur Folge „Hitleriada furiosa“, 1946 (polnisch), übersetzt und abgedruckt in: Ausstellungs-Katalog Hitleriada Furiosa 2005, Seite 6 f.
[5] Stadtarchiv Göttingen Cordula Tollmien Projekt NS-Zwangsarbeiter, http://www.zwangsarbeit-in-goettingen.de/frames/fr_lager.htm
[6] Vorwort zur Folge „Hitleriada furiosa“, 1946 (polnisch), übersetzt und abgedruckt in: Ausstellungs-Katalog Hitleriada Furiosa 2005, Seite 7