Roland Schefferski - Künstlerische Strategien zum kulturellen Gedächtnis
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Simone Froboese: Roland Schefferski
Anfang der 1980er-Jahre wendet sich Schefferski der Objekt- und Installationskunst zu und arbeitet seit dieser Zeit in Werkzyklen. Er interessiert sich für Spurensicherung und prozesshafte Vorgänge im öffentlichen Raum. Künstlerisch setzt er dies durch das Zusammentragen hinterlassener Gegenstände (Werkzyklus Registration of a Thrown-away Reality, ab 1981) und Installationen im öffentlichen Raum (Werkzyklus Space Identification 1981-84) um. Seit den Neunzigerjahren arbeitet er mit historischen Alltagsrelikten wie Fotos, Möbeln, alten Zeitungsausgaben, Geldscheinen oder getragener Kleidung, die ihm als „Auslöser für Erinnerungen und Assoziationen dienen“ (Schefferski). Sie schlagen eine „Brücke zum einstigen Nutzer oder Besitzer […] von dem alle sonstigen Spuren längst verweht sind“.[2] Der Künstler löst die Objekte aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen, indem er sie mit anderen neu arrangiert. Gelegentlich zerstört er sie partiell, wenn er Teile aus ihnen herausschneidet, sie zerbricht oder mit Stickerei versieht.
Unter dem Titel Sedimente befasst er sich seit 1993 mit Fotografien, die er zunächst in Porzellan brennt und in wassergefüllten Glasbehältern aufbewahrt. Derartige Gefäße stehen 1994 im Vitrinenschrank der Installation Wiedergewonnen aus dem Gedächtnis (Abb. 1), die der Künstler mit weiterem mitgebrachten Mobiliar und Einzelobjekten in einer Berliner Wohnungsgalerie einrichtet. Später brennt er Fotos in Fayence, zerbricht sie und deponiert sie ebenfalls in Wassergefäßen. In dem 1999 entstandenen Objekt Danzigerinnen (Abb. 5) sind die Fotoscherben einer Familie zu sehen. Diese Arrangements ähneln anatomischen Präparaten und überliefern Spuren unbekannt bleibender Menschen für die Nachwelt. Sie spielen eine Hauptrolle in den Installationen Geschehnisse, die ungenannt bleiben im Jahr 2000 im Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg (Abb. 6 a, b) und Empty Images 2007 im Zentrum für zeitgenössische Kunst Łaźnia in Danzig/Gdańsk (Abb. 7 a, b). Dort nehmen sie den gesamten Raum unter alten Küchenwaschtischen ein und zeigen Scherben mit farbigen Porträts junger Leute. Sie fokussieren den Blick auf das Schicksal und die Identität des Individuums, während andere Objekte oder das gesamte Environment auf historisch-politische Zusammenhänge abheben.
So platziert der Künstler in der Ausstellung Ausgelöschte Bilder 1997 in einem Berliner Antiquitäten- und Trödelladen, der auf DDR-„Devotionalien“ und bürgerliches Mobiliar spezialisiert ist, sechzehn künstlerische Objekte, die sich auf die Nazizeit oder die Geschichte der DDR beziehen, darunter mehrere unter einem Glassturz „konservierte“ Seidentücher mit dem Porträt von Karl Marx (Abb. 2). In der 1998 in einem Danziger Antiquitätengeschäft stattfindenden Ausstellung Fragmentaryczność Pamięci/Fragmentierung des Gedächtnisses wird der Betrachter hingegen mit einem verfremdeten Relikt der polnischen Geschichte konfrontiert, nämlich einem Geldschein, aus dem der Künstler das Wort „Proletaryat“ herausgeschnitten und in drei Medaillons eingerahmt hat (Abb. 4 a, b). In Berlin wie in Danzig findet sich der Betrachter, „kaum, dass man sich dessen bewusst wird, weniger in der eigenen Gegenwart“ als vielmehr im jeweiligen „Geschichtskontinuum“ wieder.[3] Für den Ausstellungssaal in Regensburg im Jahr 2000 entwickelt der Künstler eine Doppel-Installation aus einem polnischen und einem deutschen Teil. Während auf der polnischen Seite die Nationalfarben weiß gewaschen werden (Abb. 6 a), kommentieren die Objekte auf der deutschen Seite den Nationalsozialismus und die DDR. Damenkostüme, Küchen‑ und Wohnzimmermobiliar (Abb. 6 b) identifizieren hier wie dort die bürgerliche Schicht beider Nationen als Verantwortliche für die jeweiligen politischen Zustände.[4]
[1] Biographie, Ausstellungs- und Publikationslisten zu Roland Schefferski sowie Texte und Fotos zu zahlreichen seiner Installationen und Aktionen finden sich auf seiner Webseite https://www.roland-schefferski.net
[2] Christoph Rasch: A mosaic of memories from the historical remains collected by Roland Schefferski, in: Mare Articum. The Baltic Art Magazine, Bd. 1-2 , Heft 4, Szczecin 1999, S. 54-57 (deutsch: Ein Mosaik aus Erinnerungen, auf: artpositions.blogspot.de)
[3] Peter Funken: Ausgelöschte Bilder, in: Neue bildende Kunst, 8. Jg., Heft 1, Berlin 1998, S. 52 f.
[4] Axel Feuß: Nameless Events. An Environment of Roland Schefferski, in: Mare Articum. The Baltic Art Magazine, Heft 1, Szczecin 2001, S. 50-53 (deutsch: Geschehnisse, die unbenannt bleiben. Ein Environment von Roland Schefferski, auf: artpositions.blogspot.de). Weitere Aufsätze zur Ausstellung im Katalog Esslingen 2000.