Das Manuskript „Polonaise Allerheiligen“ von Tadeusz Nowakowski
Die Handlung spielt nicht in Haren, wo sich Tadeusz Nowakowski selbst aufhielt, sondern in Papenburg. Damit wird der Versuch unternommen, den aufgezwungenen Kontakt der befreiten Polen mit den autochthonen Einwohnern des Ems- lands in all seiner Komplexität zu erfassen.
Im Roman kehrt der Protagonist in seinen Erinnerungen in das Bromberg der Vorkriegszeit zurück, wo die polnische Bevölkerung mit der deutschen Minderheit friedlich zusammenlebte, aber auch in das Bromberg des Jahres 1939, in dem sich das Zusammenleben in eine blutige Konfrontation verwandelte. Auf den Blättern der Kladde sind Rubriken zur Eintragung von Namen und Noten von Schülern aufgedruckt – die Kladde wurde ursprünglich für die Nutzung als Klassenbuch hergestellt. Der Autor Tadeusz Nowakowski hat sie vermutlich erhalten, als er nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Salzwedel in das DP-Lager nach Haren kam und dort die Arbeit als Lehrer im polnischen Lyzeum aufnahm. Die Stadt Haren, von den Soldaten der 1. Polnischen Panzerdivision des Generals Stanisław Maczek in „Maczków” umbenannt, entwickelte sich zu jener Zeit als Hauptstadt der polnischen Enklave im Emsland zu einem der größten Sammelbecken polnischer DPs in Deutschland.
Die Kladde enthält nur einige Teile des Manuskripts zum Roman „Polonaise Allerheiligen“. Bei den Aufzeichnungen handelt es sich um die ursprünglichen Versionen von Szenen, die nach der endgültigen Redaktion des Werkes Eingang in das erste, dritte und sechste Kapitel fanden. Höchstwahrscheinlich sind es die ersten Skizzen dieser herausragenden Erzählung des Autors, die noch während seines Aufenthalts in Haren entstanden sind.
Im Dezember 1946 verließ Tadeusz Nowakowski das Emsland Richtung Rom, wo damals das 2. Polnische Korps von General Władysław Anders stationierte war. Im Jahr 1947 wurde er gemeinsam mit den Soldaten des Korps von dort nach England evakuiert. Dort fand er vorübergehend im polnischen „Haus des Schriftstellers“ an der Finchley Road in London eine Zuflucht.
Seit 1952 arbeitete Nowakowski als Journalist für den polnischen Sender beim „Radio Freies Europa“ (anfangs „Die Stimme des Freien Polens“) und hatte immer weniger Zeit für eine systematische Arbeit am Roman. So nahm die Fertigstellung noch mehrere Jahre in Anspruch. Erst 1957 wurde der Roman in Paris veröffentlicht. Der Roman „Polonaise Allerheiligen“ stellt über die Darstellung des gemeinsamen polnischen und deutschen Schicksals hinaus auch einen herausragenden literarischen Versuch dar, die nationalen Gegensätze, den gegenseitigen Neid und die beiderseitigen Komplexe zu überwinden. Er ist darüber hinaus der erste und für viele Jahre einzige polnische Roman über den Zweiten Weltkrieg, der mit dem retrospektiven Bromberger Motiv über die Darstellung der Kriegsleiden der Polen und der Verbrechen der Nationalsozialisten hinausgeht und zudem auch mit den Szenen aus Papenburg die Rache und die Verbrechen der „Befreiten“ an den Bewohnern des Emslands thematisiert. Die in der Epoche der Volksrepublik im kommunistischen Polen entstehende Literatur zum Thema wollte und konnte sich angesichts der Einschränkungen durch die Zensur nicht zu einer solchen Geste durchringen. Daher hat der Roman von Tadeusz Nowakowski, eines polnischen Schriftstellers im Exil, der seit 1953 in München lebte und schuf, eine besondere Bedeutung innerhalb der polnischen Literatur wie auch für die deutsch- polnische Verständigung.
Wacław Lewandowski, Februar 2017