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"Ein Gespräch mit einem interessanten Menschen". Folge 4: Józef Wasiak

"Ein Gespräch mit einem interessanten Menschen": Józef Wasiak, Wirtschaftsplaner und Durchschnittsmensch
"Ein Gespräch mit einem interessanten Menschen": Józef Wasiak, Wirtschaftsplaner und Durchschnittsmensch

Gusowski: "Guten Abend meine Damen und Herren, in unserer allwöchentlichen Sendung “Ein Gespräch mit einem interessanten Menschen” heute zu Gast bei mir, aber dank der neuesten Übertragungstechnik auch bei Ihnen zu Hause, Józef Wasiak, der Durchschnittsmann, der den politischen Umbruch in Polen eingeplant hat. Guten Abend."

Wasiak: "Guten Abend. Aber das ist zu viel gesagt. Es war meine Arbeit."

Gusowski: "Bescheiden, bescheiden. Herr Wasiak, wie lange haben Sie bei dem Ministerium für die  Planwirtschaft der Volksrepublik Polen gearbeitet?"

Wasiak: "Ich fing 1956 an und arbeitete bis in die 70er Jahre."

Gusowski: "Sie waren wegen Ihrer Durchschnittlichkeit eingestellt worden. Was waren Ihre Aufgaben bei dem Ministerium für die Planwirtschaft?"

Wasiak: "Ich war verantwortlich für die Planung der Produktion von Lebensmitteln und Hygieneartikel für einen sozialistischen Durchschnittsmenschen. Ich habe mich an meinem Bedarf orientiert. Es ging um Zahlen. Meistens einfache Rechnungen, aber manchmal habe ich mich auch etwas verzählt."

Gusowski: "Zu viel oder zu wenig eingeplant?"

Wasiak: "Meistens zu viel. Leider war es auch nicht gut. Denn zu viel von dem einen Produkt bedeutete in der Planwirtschaft zu wenig von dem anderen."

Gusowski: "Zu viel ist das richtige Stichwort. Sie planten zu viel Essig ein."

Wasiak: "Ja. Da war ich wohl nicht durchschnittlich. Ein Fehler im System. Aber wissen Sie, Essig spielte in meinem Leben eine besondere Rolle. Essig ist ein prima Reinigungsmittel. Und die eigene Hygiene ist auch wichtig für die ganze Gesellschaft. Außerdem ist Essig unersetzlich bei vielen Gerichten. Fisch und Fleisch. Mehr noch! Essig ist ein hervorragendes Konservierungsmittel. Deswegen hatte ich viel Essig eingeplant."

Gusowski: "Na ja, aber es waren ganze Regale voll davon. Überall Essig und sonst nichts!?"

Wasiak: "Nichts für Ungut - wie meine Oma sagte. Erstens habe ich gemerkt, dass die Wirtschaftsplaner sich irren können. Und zweitens, merkte ich, bei einer entsprechenden Planung wächst die Unzufriedenheit in der Gesellschaft. Das ist politisches Kapital."

Gusowski: "Sicher, aber Sie waren in dem Ministerium beschäftigt."

Wasiak: "Ich mochte die Arbeit eigentlich nicht. Es ist schwierig etwas zu planen, das man nicht produzieren kann. Meine Unzufriedenheit wuchs auch."

Gusowski: "Da haben Sie entschieden, etwas in Ihrem Leben zu verändern?"

Wasiak: "Nein, nicht in meinem Leben, im Leben aller Menschen! Ich fing an, so zu planen, dass die Menschen immer unzufriedener wurden."

Gusowski: "Bis der Bogen endgültig überspannt war."

Wasiak: "Im Dezember 1970 war Schluß. Die Unzufriedenheit im ganzen Land, Proteste, Demonstrationen, Streiks. Das war der Anfang vom Ende der Volksrepublik Polen. Ein wenig mit meiner Hilfe."

Gusowski: "Und mit diesem positiven Akzent verabschiede ich mich von Ihnen. Vielen Dank für das interessante Gespräch."

Wasiak: "Bitte, bitte."

Gusowski: "Und auch vielen Dank an Sie. Schalten Sie wieder ein, wenn es heisst, “Ein Gespräch mit einem interessanten Menschen”. Nächste Woche ungefähr um die gleich Zeit und bis dahin sage ich einfach mal, Ciao Ciao und Pa Pa!"

 

Autoren: Adam Gusowski, Piotr Mordel

Kamera und Ton: Jarek Godlewski

Schnitt: Adam Gusowski

Jahr: 2018

Mediateka
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