„Lupenreine Intonation … Innigkeit des Ausdrucks“ – Susanne Szambelan, polnische Cellistin aus Berlin

Susanne Szambelan, 2024 r., Fot. Anita Wąsik
Susanne Szambelan, 2024

Kommen wir wieder auf Berlin zurück. Wie wurden Sie hier aufgenommen?

- Ich habe mich hier von Anfang an wie zu Hause gefühlt, auch wenn es natürlich ein gewisser Kulturschock war. Ich habe viele verschiedene Welten an einem Ort angetroffen und genau das hat dazu geführt, dass ich mich als ein Teil dieses Ortes empfand. Vieles war mir neu und hat mich fasziniert. Berlin hat mir neue Perspektiven eröffnet, meinen Horizont erweitert. Ich begann, in Konzerte zu gehen, aber auch zu experimentellen Events und Theaterstücken. Das tue ich heute noch. Deswegen wohne ich hier auch so gerne: Diese Stadt überrascht einen einfach immer wieder.

Und wie sah es in musikalischer Hinsicht aus?

- An der Hochschule bin ich bei einem wundervollen Professor gelandet, Stephan Forck. Er hat sich sehr viel Zeit für mich genommen. Bei ihm habe ich meinen Bachelor gemacht. Zum einen lernte ich also die Stadt kennen und zum anderen saß ich stundenlang im Übungsraum und arbeitete. Das hatte ich auch bitter nötig, denn ich musste viel aufholen, denn der Umgang mit Musik ist hier ein ganz anderer.

Worin besteht dieser Unterschied?

- In Polen habe ich bei Dominik Połoński studiert, der sehr viel Wert auf Individualität legte. Das ist natürlich sehr wichtig. Doch mir fehlte eine analytische Herangehensweise, die Fähigkeit, die Musik nicht nur zu spüren, sondern auch zu verstehen. Hier geht man viel ernster mit dem musikalischen Material um. Man arbeitet jeden Akzent, jede Dynamikanweisung sorgfältig heraus. An der Hochschule in Berlin wird das Hauptaugenmerk auf das Einüben von Stücken und die Erweiterung des eigenen Repertoires gelegt. In Krakau hingegen hatte ich hervorragenden Theorieunterricht mit ausgezeichneten Dozent:innen, die ihre Fächer mit wahrer Leidenschaft unterrichteten.

Wo fühlen Sie sich am wohlsten: in der Kammermusik oder doch in einem großen Orchester?

- Auf jeden Fall in der Kammermusik, davon habe ich schon als Jugendliche geträumt. Damals hat mich das Salzburger Hagen Quartett inspiriert, ein Streichquartett, das ich bis heute sehr schätze. Seit ich zum ersten Mal eines ihrer Alben gehört habe, bin ich unsterblich in Kammermusik verliebt. Sie nimmt einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen ein. Vor Kurzem bin ich dem Klaviertrio „Lyatoshynsky Trio“ beigetreten, habe nun also mein eigenes Ensemble. Ich träume aber immer noch von einem Quartett.

Wie wird Ihr Repertoire bestimmt? Inwiefern haben Sie selbst Einfluss darauf, welche Stücke Sie bei Ihren Auftritten spielen?

- Das hängt von einigen Faktoren ab. Wenn es sich um Projekte handelt, die ich selbst ins Leben gerufen habe, liegt die Wahl der Stücke natürlich bei mir. Wenn ich aber zu Events eingeladen werde, sieht es ganz anders aus. Das, was ich an meiner Arbeit als Freelancerin am meisten schätze, ist die Vielfalt. Ich bin gerne Teil unterschiedlicher Projekte in ganz unterschiedlichen Welten der klassischen Musik.

Woran arbeiten Sie gerade?

- Im Moment stecke ich besonders viel Herzblut in das Projekt „Kodály Reframed“. Es dreht sich um die „Sonate für Violoncello solo“ von Zoltán Kodály. Dieser ungarische Komponist hat viel aus der Volksmusik geschöpft und diese Einflüsse sind auch in der Sonate spürbar. Durch die Zusammenarbeit mit dem herausragenden Saxophonisten Hayden Chisholm, der aus dem Jazzbereich kommt, konnten wir die Sonate um eine Improvisation erweitern. Ich bin unglaublich begeistert von dem Projekt, denn ich finde diese Verbindung sehr ungewöhnlich und spannend. Nachdem das Publikum in Deutschland und in Neuseeland das Projekt sehr positiv aufgenommen hat, werden wir es mit Sicherheit fortsetzen. Ich bin auch Teil des interdisziplinären Projekts „ensemble menajiri“, das von Michaela Catranis ins Leben gerufen wurde, einer ausgezeichneten Komponistin. Wir arbeiten an einer völlig neuen Konzertform, die in diesem Jahr Premiere haben wird. Michaelas Komposition wird eine ungewöhnliche Reise sein, eine Art road concert. Das Publikum wird die Möglichkeit haben, zwischen den Musiker:innen hin und her zu laufen und die Musik mit unterschiedlichen Sinnen zu erfahren. Das Leitmotiv ist die Verflechtung des Menschen und seines Unterbewusstseins mit der Natur.

Haben Sie auch selbst versucht, zu komponieren?

- Nein, ich hatte noch nie das Bedürfnis. Ich improvisiere aber für mein Leben gern und versuche, mich in diese Richtung weiterzuentwickeln.

Wer sind Ihre Lieblingskomponist:innen?

- Das ist eine sehr schwierige Frage. Die ersten Namen, die mir spontan in den Sinn kommen, sind Ludwig van Beethoven und Béla Bartók. Ihre Werke berühren mich immer zutiefst, wenn ich sie live höre. Vor Kurzem habe ich aber ein Konzert im Hamburger Bahnhof besucht, bei dem Musik von Gérard Grisey gespielt wurde. Das Stück „Le noir de l’étoile“ wurde ausschließlich für das Schlagzeug geschrieben. Die insgesamt 1000 Zuhörer:innen saßen auf dem Boden und waren von allen Seiten von den Musiker:innen umgeben. In dem Stück geht es um das Weltall und es hat uns wortwörtlich in eine andere Dimension versetzt. Es gibt also auch Komponist:innen, wie eben Grisey, die das Publikum wirklich mitreißen können, auch wenn sie lange nicht so bekannt oder vielfach ausgezeichnet sind wie z. B. Beethoven.

Zu den originellsten Projekten, an denen Sie sich bisher beteiligt haben, gehörte auch Musethica. Worin bestand dieses Projekt und was war das Besondere daran?

- Es war ein unglaublich tolles Projekt, bei dem Kammermusik an ungewöhnlichen Orten gespielt wurde – für ein Publikum, das nicht zu einem traditionellen Konzert kommen kann. Wir haben zum Beispiel für Krankenhauspatient:innen und Menschen mit Behinderungen gespielt, aber auch für Häftlinge. Die Vielfalt des Publikums war enorm. Manchmal haben wir vor Menschen gespielt, von denen wir wussten, dass es das letzte Konzert ihres Lebens sein würde. Oder das erste, das kam auch vor. Es war unglaublich emotional, eine meiner prägendsten Erfahrungen.

In Berlin und in ganz Deutschland gibt es immer mehr Musiker:innen polnischer Herkunft, die klassische Musik spielen. Wie werden sie von den verschiedenen Institutionen und vom Publikum aufgenommen?

- Was ich in Berlin und in Deutschland allgemein ganz wunderbar finde, ist, dass hier vor allem die Fähigkeiten zählen und nicht, wo man herkommt oder wen man kennt. Ich finde, wenn hier polnische Musiker:innen Aufmerksamkeit bekommen, dann haben sie es sich durch ihre Fähigkeiten, ihr herausragendes Spiel verdient und nicht durch ihre Herkunft.

 

Das Interview führte Monika Stefanek, März 2025

 

Webseite der Künstlerin: https://susanneszambelan.com/

 

Mediathek
  • Susanne Szambelan

    2019
  • Susanne Szambelan

    2024
  • Zoltán Kodály, Sonate für Violoncello solo op. 8

    Susanne Szambelan im Kühlhaus Berlin, 9.2.2023