Das Palais Radziwill

“Radziwill-Palais” in der Wilhelmstraße 77 (heute Nr. 93) (1736 - 1739 unter Leitung der Kgl. Baukommission als Palais Schulenburg errichtet, seit 1795 im Besitz der Fürsten Radziwiłł, seit 1875 im Besitz des Deutschen Reiches, seit 1878 Amtssitz des Reichskanzlers)  Radierung von F.A. Schmidt nach einer Zeichnung von J.H.A. Forst - um 1820
“Radziwill-Palais” in der Wilhelmstraße 77 (heute Nr. 93) (1736 - 1739 unter Leitung der Kgl. Baukommission als Palais Schulenburg errichtet, seit 1795 im Besitz der Fürsten Radziwiłł

An jenem Donnerstag, dem 17. März 1796, konnten nur wenige von den geladenen Gästen der Hochzeitsgesellschaft ahnen, dass die große Liebe der jungen Eheleute, nicht nur zwei Menschen, sondern auch gleich zwei Nationen näher zusammen bringen wird. Mehr noch: Ihr gemeinsames Haus in Berlin wird nicht nur zu einem internationalen Treffpunkt großer Persönlichkeiten aus Kunst und Gesellschaft avancieren, sondern auch das Arbeitszimmer eines deutschen Reichskanzlers beherbergen.

Es ist die Hochzeit von Anton Radziwiłł und Luise Friederike von Preußen. Zähe Verhandlungen waren nötig, um die Hochzeit zu genehmigen. Der Bräutigam war der Braut nicht ganz ebenbürtig: Luise war nämlich preußische Prinzessin und die Tochter des jüngsten Bruders Friedrich des Großen. Anton dagegen entstammte zwar einer angesehenen und einflussreichen polnischen Adelsfamilie, war aber Pole und dazu noch katholisch. Dass die Hochzeit dennoch stattfand, ist einerseits der eigensinnigen und energischen Prinzessin zu verdanken, anderseits aber auch dem preußischen Kalkül geschuldet, denn für den preußischen König bedeutete die Eheschließung die indirekte Anerkennung der preußischen Annexion von Teilen Polens. Für Luise von Preußen war es die Erfüllung ihrer Liebe.

Die junge, polnisch-preußische Familie blieb nach der Hochzeit in Berlin. Bereits ein Jahr zuvor besorgte Anton Radziwiłł das standesgemäße Domizil, ein Palais in der zentral gelegenen Wilhelmstraße 77, das nun “Palais Radziwiłł“ heißen sollte. In der Tat war die Ehe harmonisch und glücklich. Anton und Luise bekamen vier Kinder, ihre beiden Töchter wurden evangelisch, die beiden Söhne katholisch getauft und erzogen. In der Palais-Harmonie war auch viel Platz für gesellschaftliches Leben. Fast zwanzig Jahre lang trafen sich im “Palais Radziwiłł” bei Luise und Anton regelmäßig und kontinuierlich bekannte Persönlichkeiten, Künstler und Gelehrte. Unter ihnen waren auch berühmte Leute wie Johann Wolfgang von Goethe, Frederic Chopin, Wilhelm und Alexander von Humboldt, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Karl Friedrich Schinkel. Die “Salons“ bei Radziwiłłs waren so beliebt, dass sie zum Symbol des “polnischen Berlins“ wurden. Auch später war das Palais Radziwiłł ein Treffpunkt für polnische Politiker des Preußischen Landtages, ein Ort des Ideenaustausches und der Lösungsansätze für die seit Jahrzehnten ungeklärte Polenfrage.

Die Familie Radziwiłł lebte in ihrem Palais noch drei weitere Generationen lang, bis das Anwesen zu klein wurde. Das Haus wurde 1875 an das Deutsche Reich verkauft. Die Wilhelmstrasse 77 sollte nun die neue Adresse der Reichskanzlei werden. Schon bald zog in die frisch renovierten Räume Otto von Bismarck ein. Der Reichskanzler des Deutschen Reiches war nicht gerade bekennender Polenfreund. Ob es ihm bewusst war, von welchem symbolträchtigen Platz aus er nun regierte und ob er mit Absicht diesen Ort wählte, kann heute nicht mehr ganz geklärt werden. Das Palais Radziwill und die Familie Radziwill spielten jedenfalls eine große Rolle für die bestehenden preußisch-polnischen Beziehungen in Berlin.

1933 zogen in das Palais die Nationalsozialisten ein. Mit dem letzten Mieter, Adolf Hitler, der nach dem Bau der Neuen Reichkanzlei in der Voßstraße das Palais als Privatwohnung nutzte, war das Ende des Gebäudes besiegelt. Beim Einmarsch der Roten Armee 1945 wurde das Palais so stark beschädigt, dass es nach dem Krieg 1949 abgerissen werden musste.

 

Adam Gusowski, September 204

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  • Radziwill-Palais

    Radziwill-Palais, Blick in den “Roten Salon” und in den Wintergarten des Gebäudes, um 1927.